Dienstag, 18 Februar 2014 19:37

Leck ist beinahe schon Sylt!

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Was haben Reykjavik, Khanty Mansiysk und die schöne Grenzstadt Leck gemeinsam? Man ahnt es sofort – alle drei liegen ein wenig außerhalb der brummenden Metropolen, sie haben einen herben Charme und eine gute Seele, und (am wichtigsten) ihre Namen sind eng verbunden mit bedeutenden schachgeschichtlichen Ereignissen der Moderne.
Während es bei Reykjavik aber nur der WM-Kampf zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer war, und das sibirische Khanty Mansiysk lediglich unter den Teilnehmern des kommenden Kandidatenturniers als passables Reiseziel gilt, sieht die Sache beim nordfriesischen Leck schon ganz anders aus. Hier nämlich findet bald eine veritable Landesmeisterschaft statt, das Turnier der Turniere von Schleswig-Holstein, und somit richtet die internationale Schachwelt in der Osterwoche ihren Blick in die Nähe der dänischen Grenze, dorthin, wo das Land noch grün und ehrlich ist.
Vom 12. bis zum 18.April sucht Schleswig-Holstein also wieder seine Meister, einmal im ehrwürdigen Turnierschach, aber auch im Lösen von (Schach)Problemen und im Blitzen - der traditionsreiche Karfreitagsblitz zählt in diesem Jahr gleichzeitig als Landesmeisterschaft.

Als Bremer, der ich seit einigen Jahren bin, kenne ich das ja gar nicht mehr, so weite Reisen zu einer Landesmeisterschaft. Unsere Turniere finden statt in einem überschaubaren räumlichen Rahmen – mal sind sie in Bremen-Mahndorf, dann in Bremen-Varrel, teilweise auch leicht außerhalb in Delmenhorst und Bremerhaven. In diesem Jahr trifft man sich in Bremen-Nord, denn die Norder feiern ihr hundertjähriges Vereinsjubiläum, und es kommen sogar Marco Bode (!) und Robert Rabiega vorbei und spielen simultan.
Früher dagegen, als ich noch in Schleswig-Holstein lebte, sah man noch so richtig etwas von der Welt, wenn es hieß „Landesmeisterschaft!“. In den 80er Jahren lernte ich viel über das Schach bei meinem Heimatverein in Schleswig (moinmoin!), und spielte später für den MTV Leck und den traditionsreichen Lübecker SV. Wir reisten zu den großen Turnieren überall hin - nach Glücksburg, Kappeln, Eckernförde, Schwabstedt und Osterrhönfeld, und manch einer spielte das Turnier auch schon in Altenholz und Bad Segeberg. Ebenso war Ratzeburg schon einmal Reiseziel (dort verpasste ich durch einen Spaziergang nach der letzten Runde leider sehr dumm die Siegerehrung), und gleichfalls Büsum 1999, wo die Nordseewellen, und der Strand. Schön war es überall – mit jeweils sieben aufregenden Tagen Schach am Stück!
Landesmeisterschaften sind erwiesenermaßen immer gut, und wenn dann zufällig auch noch Frühling ist, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Wie wir in der Hansestadt Bremen aber nun so hörten, hat bislang nur eine überschaubar große Schar von Schachfreunden ihre Anreise nach Leck avisiert. In der Meisterklasse beispielsweise sind es derzeit nur sechs Spieler, die gemeldet haben, und einer von ihnen, ein gewisser Ullrich Krause, hat (Stand 12.Februar) noch gar nicht das Startgeld bezahlt! Das ist natürlich verblüffend, denn was könnte schöner sein als eine Woche in Nordfriesland? (Nun gut, vielleicht zwei Wochen Nordfriesland – oder drei.)
Denn wir wissen es doch alle - es ist einfach ein feiner Flecken Erde dort oben. Das war ja auch schon so vor zwanzig Jahren, als die meisten von uns noch erheblich jünger waren und der MTV Leck unter der Ägide von Günter Knoop in ganz Norddeutschland auf Punktejagd ging. Torsten Meyer, Finn Riedel, Klaus Seeck, so hießen die großen Spieler damals beim Männerturnverein, zusammen in einem verwegenen Team mit den beiden Forbrich-Brüdern Burkhard und Hartmut, und außerdem mit Dr. Gerhard Drebes, Claus Nissen, Michael Kreuzholz sowie Christoph Osterkorn, der schon damals aus Sicherheitsgründen 1.b2-b3! spielte, um nicht in den Hauptvarianten auspräpariert zu werden – das macht Magnus Carlsen heute ja ganz genauso. Der Einfluss der Lecker Schachschule auf das Weltschach ist offenbar gewaltig.
Als Legionäre aus den südlicheren Breitengeraden hatte Günter Knoop für sein Oberligateam auch die beiden Norderstedter Ralf Bohnsack und Hanno Sislian gewinnen können. Jedes Heimspiel in Leck bedeutete für beide immer deutlich mehr Fahrtstrecke als ein beliebiges „Auswärtsspiel“ des MTV in Hamburg bei Bille oder Favorite an der Alster. Doch nahmen sie das gerne in Kauf, und das spricht ja auch schon wieder für den Schachstandort Leck – Ralf und Hanno waren immer dabei, selbst zum Bezirksblitzturnier auf Amrum reisten sie mit an! Heute spielen beide wieder bei ihrem alten Verein, und wer weiß, vielleicht haben auch ihre in Leck gemachten Erfahrungen dabei geholfen, den SK Norderstedt bis in die Bundesliga zu bringen? Das Motto des MTV jedenfalls spricht für sich: „Im Norden ganz oben, im Sport ganz vorn“. Yep!
Unsere Oberliga-Gegner, die jeweils durch mindestens das halbe Land anreisten und dabei mehrere Breitengerade überwinden mussten, waren oft schon ganz zermürbt von der weiten Anreise – von Lübeck nach Leck beispielsweise waren es ja auch damals schon, obwohl es noch keine Navis gab, glatt 150 km.
Wie gut hat man es da in dieser Osterwoche 2014 – zur Landesmeisterschaft braucht man nur ein einziges Mal anzureisen, und dann bleibt man einfach sieben Tage entspannt an der Küste, abseits großstädtischer Hektik, und kann stundenlang Schachspielen. Zeit bleibt bei der Landesmeisterschaft auch, um Freundschaft zu schließen mit den kleinen Osterlämmern, nach verlorenen Partien auf den Deich zu klettern und gegen die Windräder anzuschreien, und vielleicht sogar eine Tour nach Sylt zu machen, vom nahen Klanxbüll aus. Auch Brigitte Bardot und Gunter Sachs verbrachten früher ja ihre Zeit in Leck – oder zumindest auf Sylt, aber das ist ja eigentlich schon fast dasselbe.
Es gibt sicher hunderte ehrenvolle Gründe, um zu den Landesmeisterschaften nach Leck zu fahren. Einige davon seien hier genannt – und es sind noch nicht einmal die überzeugendsten:


- Es ist die nördlichste Landes-Meisterschaft seit langem
- Viele Tage Schach!, und wenn man Glück hat, scheint auch mal die Sonne
- Nahe ist die Nordsee, und nicht viel weiter die Flensburger Brauerei
- Der Männerturnverein Leck lädt ein in die Nordfrieslandhalle!
- Landesmeister werden, Gruppensieger werden, nicht absteigen!
- Die Lübecker sind auch dabei, und die Schleswiger, und! die ganzen anderen!
- Das Wetter ist wunderschön, auch im Vergleich zu Khanty Mansiysk
- Ralf Bohnsack und Hanno Sislian waren auch schon da
- Dänemark ist gleich um die Ecke - der er lækre lakrids!
- Lämmer, Wiesen, Deiche!
- Postkarten aus Leck kommen schneller an als Postkarten aus Reykjavik
- Man kann später mal sagen „Leck 2014? Da war ich doch dabei!“


Wir Schachspieler im kleinen Bundesland Bremen grüßen und schauen neidvoll auf die reizvollen Austragungsorte im hohen Norden. Zwar ist es auch in Bremen-Nord schon ziemlich kernig, doch an Leck, Klanxbüll und die Deiche kommen wir nicht ganz heran.
Auf also, nach Leck, Ihr Schleswig-Holsteiner, viel Spaß dort beim Turnier – und grüßt mir Günther Knoop!

 

Olaf Steffens

Gelesen 1023 mal Letzte Änderung am Dienstag, 18 Februar 2014 19:38